Nürtingen aktuell
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Vom Schweinemarkt zur Aromameile
Erstelldatum20.03.2013
Wenn an bunten Ständen Bürsten baumeln, Strümpfe und Schlüpfer sich stapeln und in der Luft der Duft von Gewürzen und Zuckerwatte liegt - dann ist wieder Markttag in Nürtingen. Mit dem Krämermarkt in der Alleenstraße beginnt am kommenden Donnerstag die diesjährige Marktsaison in Nürtingen - eine Tradition, die schon fast 700 Jahre auf dem Buckel hat.
Seit Nürtingen 1335 zur Stadt erhoben wurde, darf sie Märkte abhalten und tut das auch. Nürtingens erster Markt war der Laurentius(jahr)markt, dann folgte der Wochenmarkt am Donnerstag, der lange Zeit mit einem Frucht-, einem Schweine- und einem Holzmarkt kombiniert war. Der Jahr- oder Krämermarkt stammt aus dem 16. Jahrhundert und orientierte sich damals an kirchlichen Festtagen wie Lichtmess, Ostern, Bartholomäus und Kirchweih. Der Thomasmarkt, der bis heute am Namenstag des Apostels (21. Dezember) stattfindet, war früher ein Flachs-, Hanf- und Leinwandmarkt.
Im Gegensatz zu den Krämer- und Wochenmärkten überlebten weder Schweine- noch Pferde- und Schafmarkt bis ins dritte Jahrtausend. Dabei war der Nürtinger Rossmarkt einst so bedeutend, dass Heimsheim Anfang des 18. Jahrhunderts eigens einen Markt einrichtete, um die rheinischen Pferdehändler auf dem Heimweg von Nürtingen zu sich zu locken. Doch Ende des 19. Jahrhunderts endete die Blütezeit des Rossmarktes. 1904 wurden dann gerade noch 261 Pferde zum Verkauf angeboten, zehn Jahre später warteten nur mehr 57 Rösser auf Käufer und schließlich kam gar keines mehr.
Etwas länger hielt sich der Viehmarkt mit Rindern und Schweinen. 1957 kassierte die Stadt 50 Pfennig Marktgebühr für jedes Stück Großvieh, doch Reichtümer spülte der Viehmarkt schon damals nicht mehr ins Stadtsäckel. Die letzten Rinder wurden Anfang der Siebziger verkauft, 1976 wurden nur noch ein paar Ferkel feilgeboten. 1983 hob der Gemeinderat den Markt dann förmlich auf.
Ein ähnliches Schicksal ereilte den Schafmarkt. "Schafmarkt ohne Schafe" titelte die Nürtinger Zeitung 1969 und vermerkte, dass "der jährliche Schafmarkt wieder eine Pleite war, denn auf dem Viehmarktplatz wurde kein einziges Schaf aufgetrieben." 1957 waren von den 500 angebotenen Wolltieren immerhin noch 388 verkauft worden. Doch ohne Schaf nix los, deshalb gehört auch dieser Markt inzwischen in die Geschichtsbücher.
Geschichte und Geschichten erzählt der Wochenmarkt und spiegelt dabei die Entwicklung in der Marktstadt Nürtingen wider. 1927 musste beispielsweise der Polizeiwachtmeister persönlich tätig werden, weil mehrfach Beschwerden kamen, dass nicht selbst gefertigte Körbe für Schweine auf dem Wochenmarkt verkauft würden. Wenig später erregten Trauerkränze die Gemüter. Nürtinger Gärtner beschwerten sich über "Pfuscharbeit zu Schleuderpreisen", welche von "Nichtfachleuten von auswärts" angeboten werde und dem reellen Geschäftsmann empfindlichen Schaden zufüge. "In den 20er-Jahren machte auswärtige Konkurrenz auch den alteingesessenen Marktleuten zunehmend zu schaffen", weiß Nürtingens Stadtarchivar Reinhard Tietzen.
Dabei war damals wie heute klar geregelt, was verkauft werden darf: Lebensmittel außer Alkohol, Produkte aus dem Obst und Gartenbau, aus Fischerei, Land- und Forstwirtschaft. Ein gewisser Interpretationsspielraum steckt da natürlich drin. Die Formulierung "Naturerzeugnisse außer größerem Vieh" aus der aktuellen Gewerbeordnung beispielsweise übersetzt der städtische Markt-Verantwortliche, Michael Göppinger, mit "Schlacht-Hühnchen ja, ganzes Schwein nein".
Das Warensortiment wird kontrolliert, ebenso wie die Verkehrssicherheit und natürlich die Hygiene. "Verboten ist das Berühren und Anhusten der feilgebotenen Lebensmittel durch die Marktbesucher" gemahnte in den 30er-Jahren die erste Hygieneverordnung. Heute füllen die Vorschriften mehrere Aktenordner.
Das tut der Beliebtheit der Nürtinger Märkte keinen Abbruch. "Unser Wochenmarkt hat einen guten Ruf und ist vor allem samstags proppenvoll", freut sich Göppinger. Rund 35 Marktbeschicker bieten in der Mehrzahl eigenes Obst, Gemüse, Pflanzen und sonstige Produkte an. Über mangelnde Nachfrage von Händlern kann der Marktchef nicht klagen. Nur beim Donnerstagsmarkt würde sich Michael Göppinger wünschen, dass die Lücken in der Aromameile in der Apothekerstraße wieder geschlossen werden. Dort hatte man vor einigen Jahren den Wochenmarkt um Spezialitäten inhaltlich und räumlich erweitert - auch, um Markt und Fußgängerzone zu verbinden.
Ein bisschen mehr Sorge macht der Krämermarkt. Seine frühere Bedeutung als Waren- und Nachrichtenumschlagplatz verliert er zusehends. "Noch vor einigen Jahren kamen Besucher gezielt hierher, um neue Besen zu kaufen, heute gehen sie ins Kaufhaus oder den Baumarkt", umschreibt Göppinger die Entwicklung. Das klassische Marktpublikum altert mit den großenteils langjährigen Beschickern. "Wir versuchen, den Krämermarkt mit einer bunten Auswahl attraktiv zu gestalten, damit er Nürtingen erhalten bleibt", sagt Göppinger.
Davon kann man sich am 21. März, am 20. Juni, am 17. Oktober und am 21. Dezember überzeugen, wenn in der Alleenstraße von 8 bis 18 Uhr wieder Seifen und Strickwaren, Tücher und Tee, Gürtel und gebrannte Mandeln zum Marktbummel locken.