Nürtingen aktuell
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Präventionsnetzwerk gegen Kinderarmut
Erstelldatum16.04.2021
Präventionsnetzwerk gegen Kinderarmut
Deutschland zählt zu den wohlhabendsten Ländern der Welt und Baden-Württemberg ist eines der reichsten Bundesländer. Doch es gibt auch eine andere Seite, die beschämt: In Baden-Württemberg sind es insgesamt rund 1,3 Millionen Menschen, die in Armut leben. Jedes fünfte Kind ist hierzulande von finanzieller Armut betroffen. Diese hat nicht nur materielle und damit sichtbare Auswirkungen in Form von Einschränkungen bei der Ausstattung mit Kleidern, Spielzeug oder technischen Geräten. Durch den fehlenden Umgang mit moderner Technik wie dem Internet sind diese Kinder auch von einem wesentlichen Zugang zur Bildung abgeschnitten und damit bleiben ihnen Aufstiegsmöglichkeiten schon sehr früh verwehrt. Die Corona-Krise verschärft diese Situation noch, denn selbst wenn sie über notwendige Geräte verfügen, so steht den Kindern durch beengte Wohnverhältnisse häufig kein eigener Raum zur Verfügung, in dem sie in Ruhe lernen oder sich zurückziehen können. Da sie deutlich seltener Teil von Vereinen oder anderen gesellschaftlichen Gruppen sind, haben sie zudem Nachteile in der Entwicklung sozialer Kompetenzen und entwickeln häufig ein mangelndes Selbstwertgefühl. Und all diese Faktoren wirken sich wiederum negativ auf die Gesundheit aus.
Die Bertelsmann-Stiftung hat Kinderarmut als „unbearbeitete Großbaustelle“ und eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen bezeichnet. Die Stadt Nürtingen stellt sich dieser Herausforderung und geht mit der Bildung eines Präventionsnetzwerks aktiv gegen Kinderarmut vor und tritt für Kindergesundheit ein. In Nürtingen geht es den meisten Kindern verhältnismäßig gut. Während in Deutschland fast 14% der Kinder in Haushalten leben, die Grundsicherung beziehen, so waren es in Nürtingen im Jahr 2019 lediglich 7,5%. Doch auch dies ist kein Grund, um die Hände untätig in den Schoß zu legen. „Wir wollen diesen Missstand ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken. Nur dann, wenn wir die Bekämpfung der Kinderarmut als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begreifen, können wir auch erfolgreich sein“, so der Appell von Oberbürgermeister Dr. Johannes Fridrich.
Wächst ein Kind in Armut auf, so ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich dies bis ins Erwachsenenalter fortsetzt. 21% aller Kinder in Deutschland leben einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge dauerhaft oder wiederkehrend in Armut. Um diese Entwicklung zu unterbrechen, soll das Nürtinger Präventionsnetzwerk Kindern und Familien in möglichst vielen Lebensphasen passgenaue Angebote von kompetenten Ansprechpartnern und Vertrauenspersonen anbieten. Im Rahmen des Projekts, das mit 70.000 Euro vom Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg gefördert wird und auf zwei Jahre angelegt ist, sollen die Akteure von Wohlfahrtsverbänden, Kirchen, Stiftungen, der Stadt und weiterer Institutionen miteinander vernetzt werden, um ihre bestehenden Angebote und Strukturen an die Bedarfe der Kinder, Jugendlichen und Familien genauer auszurichten.
Bis November 2022 sollen neben Fortbildungen und Schulungen für die Teilnehmenden des Präventionsnetzwerkes in erster Linie konkrete Maßnahmen für alle Altersgruppen zwischen 0 und 21 Jahren identifiziert und nachhaltig umgesetzt werden. „Langfristig verfolgen wir das Ziel, junge Menschen und Familien in all ihren Lebensstationen zu fördern, zu unterstützen, sowie Bildungsangebote zu machen, damit diese trotz aller finanziell beschränkten Möglichkeiten aktiv am gesellschaftlichen Leben teilhaben können“, so der städtische Jugendreferent und operative Projektleiter Stefan Felder-von Hahn.
Den Startschuss für das Projekt bildet ein digitales Auftaktforum am Donnerstag, 22. April. Nach einer Begrüßung durch Manfred Lucha, Minister für Soziales und Integration des Landes Baden-Württemberg, und Oberbürgermeister Dr. Johannes Fridrich folgen Vorträge von Dr. Nele Usslepp vom Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg sowie von Gerda Holz, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V.. Im Anschluss beschäftigen sich Kleingruppen in einzelnen Workshops mit einer Bestandsaufnahme der Situation verschiedener Altersgruppen in Nürtingen. Dabei sollen unter anderem die Wirksamkeit bestehender Angebote überprüft und Vorschläge erarbeitet werden, um Kinderarmut gezielt und altersgerecht zu begegnen. Ein Workshop behandelt altersunabhängige Themen wie die Auswirkungen von durch Armut ausgelöste psychische Belastungen.
Interessierte Bürgerinnen und Bürger können an der Auftaktveranstaltung teilnehmen und sich an den Workshops aktiv beteiligen. Dazu ist eine Anmeldung unter https://www.ev-akademie-boll.de/tagung/331321.html notwendig.