Nürtingen aktuell
Nürtingen aktuell
Gemeinsam bauen und leben in der Östlichen Bahnstadt
Erstelldatum20.09.2023
Gemeinsam bauen und leben in der Östlichen Bahnstadt
Laut einer 2022 durchgeführten bundesweiten Studie eines unabhängigen Vermittlers von Immobilienfinanzierungen träumen acht von zehn Deutschen vom Eigenheim. Die Gründe dafür sind vielfältig: Platzbedarf wegen einer größer werdenden Familie, Unabhängigkeit von einem Vermieter, als Altersvorsorge oder mietfreies Wohnen werden genannt. Trotz der derzeit hohen Inflation und steigender Zinsen muss dieser Traum aber kein Traum bleiben. Denn es gibt viele Möglichkeiten, um zum Ziel des Eigenheims zu kommen. Die Stadt Nürtingen eröffnet eine solche und beschreitet neue Wege, indem sie in der Östlichen Bahnstadt Grundstücke insbesondere für bürgerschaftliche Wohnprojekte ausschreibt. So können sich mehrere Bauherren und –frauen zusammenschließen und gemeinsam ein Mehrfamilienhaus planen, bauen und darin leben – ohne zusätzliche Kosten für Makler oder Investoren. Doch wie funktioniert eine solche Zweckgemeinschaft? Muss man permanent Kompromisse schließen? Zerplatzen die eigenen kleinen Träume, um sich den großen Traum vom Eigenheim erfüllen zu können? Streitet man sich wegen der Fassadenfarbe oder einer Dachterrasse? Wie entsteht und funktioniert eigentlich eine solche Gemeinschaft?
Eines ist klar: Engagement und Risikobereitschaft sind nötig, um den Wunsch später auch Wirklichkeit werden zu lassen, denn es kann zwei bis drei Jahre dauern, bis das Projekt abgeschlossen ist. Doch diese Zeit birgt auch den Vorteil, dass sich die Bauherren besser kennenlernen können und die Nachbarschaft auf lange Sicht funktioniert – unabhängig von Alter, Familienstand oder Interessen. So werden im Idealfall schon vor Beginn der Wohnphase aus Nachbarn Freunde.
Beispiele dafür, dass Baugemeinschaften in unterschiedlichen Eigentumsformen mit innovativen Konzepten nachhaltige Impulse setzen und wertvolle Beiträge für ein lebendiges Quartiersleben leisten können, gibt es bundesweit mittlerweile einige: in Hamburg, Berlin oder München etwa. Aber man muss den Blick gar nicht in ferne Städte schweifen lassen. Auch in Karlsruhe, Tübingen oder dem benachbarten Kirchheim unter Teck gibt es sie. So hat sich in Kirchheim unter Teck die Baugemeinschaft „Quartoon“ gegründet, die ein begrüntes Wohn- und Geschäftshaus plant, unter deren Dach vielfältige Lebens-, Familien- und Arbeitsformen eine neue Heimat finden sollen. Neben zehn Wohneinheiten soll es Platz für eine Fahrradanhängermanufaktur, ein Planungsbüro für Bäder, ein Kulturraum und ein Treppenhaus, in dem ein Baum wachsen soll, geben.
Treibende Kraft war ein Architekt, der Interessenten für sein Konzept suchte. Bei einer sogenannten „Stadthausbörse“ trafen sich dann ihre Wege und nach einem weiteren Suchlauf fanden sich insgesamt 18 Personen zusammen, welche nun ihr Bauprojekt nach Wunsch umsetzen. Fachliche Unterstützung kommt dabei von der Projektsteuerin Petra Hausch, die manch emotional geführte Diskussion in Bahnen lenken und wieder auf das Wesentliche konzentrieren musste. „Wir sind viele Kompromisse eingegangen“, erklärt sie im Rückblick.
Das liegt in der Natur einer solchen Gemeinschaft, wenn unterschiedliche Vorstellungen aufeinandertreffen. Nachdem sich die Personen gefunden hatten, artikulierten sie ihre Wünsche, welche der Architekt umzusetzen versuchte und im Anschluss wurde über die Umsetzung und Ausgestaltung der Wohnflächen diskutiert. Und da ging es mitunter nicht gerade um die Wurst, aber um wenige Zentimeter. Am Ende hat es sich aber gelohnt und die meisten Entscheidungen wurden gar einstimmig getroffen. „Immer im Gedanken der Gemeinschaft“, resümiert Geschäftsführer Johannes Gerblich. Nach gut 18 Monaten ist es soweit, dass Ende des Jahres die ersten Bewohner in ihr neues Eigenheim einziehen können. Und die Beteiligten haben ihre Entscheidung für eine Baugemeinschaft nicht bereut. Die Vorteile liegen auf der Hand: Innovative Konzepte können mit einer hohen Gestaltungsfreiheit umgesetzt werden. Außerdem baut man günstiger, da die Kosten für einen Bauträger entfallen. Einzig vor dem Risiko von Baupreissteigerungen ist auch eine Baugemeinschaft nicht gefeit. „Und ein wenig Glück gehört auch dazu, dass sich die „richtigen“ Menschen zusammengefunden haben“, ergänzt die Gesellschafterin Barbara Blum.
Nun können auch Baugemeinschaften die Gelegenheit in Nürtingen ergreifen, ihren Traum vom Eigenheim zu verwirklichen. Die Grundstücke dafür werden im Frühsommer 2024 ausgeschrieben. Sie werden nicht zum Höchstpreis vergeben, sondern in einem sogenannten Konzeptverfahren an diejenigen Bewerber mit dem besten individuellen Konzept.
Die Stadt Nürtingen informiert in mehreren Veranstaltungen über das Verfahren und die sich bietenden Möglichkeiten für Baugemeinschaften: Am 27. September stehen ab 18 Uhr im Nürtinger Rathaus der Prozess und Ablauf eines gemeinschaftlichen Projektes, Rechtsformen, die Finanzierung, Herausforderungen und Erfolgsfaktoren von Baugemeinschaftsprojekten im Mittelpunkt. Natalie Schaller, Geschäftsführerin der „mitbauzentrale münchen - Beratung für gemeinschaftsorientiertes Wohnen“ referiert dazu. Der Eintritt ist frei.
Am 23. Oktober präsentieren Verwaltungsmitarbeiter und Fachplaner ab 17 Uhr bei einem Stadtspaziergang in der Östlichen Bahnstadt die Planung vor Ort.
Und am 26. Oktober besteht ab 18 Uhr in der Stadthalle Nürtingen die Gelegenheit, sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen. Projektinitiativen, Genossenschaften, Bauträger, Planer, Projektsteuerer, die sich mit einer Gruppe auf ein Grundstück bewerben möchten, können ihr geplantes Projekt kurz vorstellen und an Infotischen präsentieren, um weitere Mitglieder für Ihr Vorhaben zu gewinnen und in direkten Kontakt mit potenziellen Interessenten treten. Diese Veranstaltung eignet sich auch besonders für Interessierte, die noch kein eigenes Projekt geplant haben, um eine für sie geeignete Gruppe zu finden.
20.09.2023